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Neues Frühwarnsystem für Erdbeben in Südkalifornien
von Holger Kroker
Los Angeles - Erdbeben kommen - wie jetzt in der
Osttürkei - meist völlig überraschend. Die Wissenschaft kennt
bislang keine sicheren Anzeichen für einen bevorstehenden Erdstoß,
und nur manche Beben kündigen sich mit leichteren Vorläufern an.
Seismologen versuchen aber, zumindest kurzfristige Frühwarnungen
über herannahende Erdbebenwellen zu geben, damit Industrieanlagen
und Pipelines noch schnell gesichert werden können und der Verkehr
gestoppt werden kann. In Japan, Mexiko und Taiwan sind solche
Frühwarnsysteme installiert. Mexiko City, das durch ein 300
Kilometer entferntes Erdbebenzentrum vor der pazifischen Küste
gefährdet ist, gewinnt durch die Überwachung dieses Gebietes etwa 70
Sekunden für die nötigsten Vorkehrungen. Andere Ballungsräume liegen
jedoch unmittelbar an einer erdbebenträchtigen Störungszone oder gar
mitten drin - etwa Istanbul und Los Angeles.
In der heutigen Ausgabe von "Science" skizzieren Geophysiker der
Universität von Wisconsin und des California Institutes of
Technology ein Frühwarnsystem, das auch solchen Gebieten wenigstens
einige Sekunden Zeit für Vorbereitungen schaffen soll. Konzipiert
und getestet wurde es zunächst für den Großraum Los Angeles.
"Wir nutzen die erste Wellenfront eines Erdbebens, die so
genannten P-Wellen, um die Stärke der Hauptwellen zu berechnen",
erklärt Geophysikprofessor Richard Allenin. Zwischen den P-Wellen,
die nur geringe Schäden anrichten, und der Ankunft der
zerstörerischen Hauptwellen vergehen in Südkalifornien je nach Tiefe
des Bebenherdes zehn bis 15 Sekunden. Weitere fünf
Sekunden dauert es bis zum Höhepunkt des Bebens. Die
Geschwindigkeit, mit der die P-Wellen aufeinander folgen, verrät den
Erdbebenexperten, wie stark der folgende Stoß wird. "Kleinere Beben
verursachen P-Wellen in höherer Frequenz, weil sich die Erdkruste
nur über kurze Strecken bewegt, bei stärkeren Beben ist die
P-Wellen-Frequenz niedriger, weil sich größere Störungszonen
bewegen", so Allen. Der Erfolg von Frühwarnungen hängt von der
Dichte des Messnetzes und der Geschwindigkeit der
Informationsverarbeitung ab. Südkalifornien ist da in einer guten
Position, denn hier gibt es ein dichtes Netz von 155 gut
ausgestatteten seismischen Stationen. Sie zeichnen jede Erdbewegung
auf, verarbeiten die Informationen vor Ort und melden die Resultate
an die Zentrale.
"Wir wollen schon eine Sekunde, nachdem die ersten Wellen
registriert wurden, eine vorläufige Magnitudenangabe haben, die dann
innerhalb höchstens einer weiteren Sekunde an die Zentrale gemeldet
wird", unterstreicht Allen. Tests mit Daten von zurückliegenden
Erdbeben haben gezeigt, dass so bereits sehr gut die Magnitude
angegeben werden kann, die das Erdbeben mindestens erreichen wird.
Orte, die rund 30 Kilometer vom Epizentrum entfernt liegen, hätten
so immerhin noch eine Vorwarnzeit von etwa acht Sekunden. Das reicht
aus, um die dringendsten Notabschaltungen durchzuführen - allerdings
nur, wenn die Informationsübermittlung an die Steuerungssysteme
automatisiert ist. Der Betrieb des Systems soll in Kürze beginnen.
Artikel erschienen am 2. Mai 2003 |
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